Themen wie Identität, Vorurteile und Stereotype waren Dreh- und Angelpunkte des Gadjé-Rassismus-Seminars im 3. Projektlaufjahr unseres Demokratie leben! - Projektes.
Entsprechend des überarbeiteten Musterplans für das Modellprojekt zum Thema Rassismus gegen Sinti und Roma beschäftigten sich die 25 Teilnehmenden, die derzeit ihr Freiwilliges Soziales Jahr (FSJ) über den Träger Türkischer Bund Berlin (TBB) absolvieren, am ersten Tag des fünftägigen Seminars spielerisch mit eigenen Vorurteilen, erarbeiteten verschiedene Funktionen der ihnen bekannten Vorurteile und reflektierten über ihre bisherigen Erfahrungen im Rahmen ihres FSJ.
Am zweiten Tag folgte eine vertiefende Beschäftigung mit Vorurteilen im Rahmen des Themenfeldes Gadjé-Rassismus. Hierbei kamen sowohl Methoden zur Vermittlung von Wissen und historischem Hintergrund als auch zur Sensibilisierung und Dekonstruktion von Inklusions- und Exklusionsprozessen zum Einsatz.
Möglichkeiten für eine interessensbezogene vertiefende Beschäftigung mit dem Themenkomplex Rassismus gegen Roma und Sinti boten sich den Teilnehmenden (TN) am Mittwoch. An diesem dritten Seminartag wählten die TN zwischen drei ganztägigen Workshops: Gadjé-Rassismus in den Medien, Identität und Gadjé-Rassismus, Exkursion zum Thema Verfolgung von Sinti und Roma im Nationalsozialismus.
Am vierten Tag schließlich begannen die TN am Vormittag mit der Entwicklung eigener Ideen zur Umsetzung von Mini-Aktionen. Diese ersten Ideen wurden zuerst in Kleingruppen entwickelt und dann im Rahmen einer kollegialen Beratung im Plenum vorgestellt. Anschließend überarbeiteten die TN ihre ersten Entwürfe und begannen mit der Umsetzung und Anfertigung ihrer Aktionen, die der Gesamtgruppe am Vormittag des letzten Seminartages vorgestellt wurden.
Projektidee:
Vor dem Hintergrund der vielen neuen Informationen zum Thema Gadjé-Rassismus und der Einsicht in die massiv vernachlässigte öffentliche Beschäftigung mit Rassismus gegen Sinti und Roma, entwickelte eine Projektgruppe ein Umfrageprojekt. Bei diesem interessierte die TN vor allem, welche Informationen über Geschichte, Verfolgung und gegenwärtige Lebenssituation von Sinti und Roma bekannt bzw. unbekannt sind, sowie eine genauere Analyse der Antworten nach dem Alter der Befragten. Das Ziel ihrer Aktion formulierten die TN selbst: „Menschen aufklären und Vorurteile abschaffen“. Teil des Umfrageprojektes war es außerdem, Buttons und Luftballons mit Statements gegen Gadjé-Rassismus anzufertigen und an die Befragten zu verteilen.
Umsetzung:
Diese Projektgruppe war diejenige mit der höchsten Anzahl an TN. Anfangsbedenken gegen eine so große Arbeitsgruppe begegneten die TN mit einer ausgesprochen hohen Fähigkeit zur Selbstorganisation. So teilte sich die Gruppe selbstständig in drei Untergruppen ein: a) Auswahl der Fragen für die Umfrage, Anfertigung eines Umfragebogens für alle Interviewenden, statistische Auswertung und grafische Aufbereitung der Ergebnisse b) Inhalt, Design und Herstellung der Buttons c) Kaufen der Luftballons. Die eigentliche Aktion am Alexanderplatz konnte so zwischen ca. 16-18:30 Uhr durchgeführt werden. Die Abendstunden nutzten die engagierten TN zur Auswertung und Aufbereitung ihrer gesammelten Daten.
Kommentar:
Den TN ist es gelungen, gemeinsam 44 Personen zu befragen und darüber hinaus mit weiteren Passant*innen Gespräche zum Thema zu führen. Die Ergebnisse wurden am Donnerstagabend statistisch und grafisch ausgewertet und am Freitagmorgen mit Hilfe einer Power Point Präsentation im Plenum vorgestellt. Alle TN dieser Projektgruppe zeigten großes Engagement beim Durchführen ihrer Aktion, einen hohen Grad an Selbstständigkeit sowie eine enge Verbundenheit mit dem für sie eigentlich neuen Thema Rassismus gegen Roma und Sinti. So reagierten die TN auf den geringen Informationsstand der Befragten mit großem Erstaunen bis tiefer Empörung. Insgesamt war der durch die TN bestätigte Eindruck der Teamenden, dass die bei der Mini Aktion gesammelten Erfahrungen das Gefühl der Selbstwirksamkeit stärkten.
Projektidee:
Eine drei TN umfassende Arbeitsgruppe beschloss, Sticker zu designen, anzufertigen und an öffentlichen Plätzen anzubringen. Das Ziel ihrer Aktion formulierten die TN folgendermaßen: „Rassismus verringern / Aufmerksamkeit, Sichtbarkeit“.
Umsetzung:
Die erste Anfangsidee der Arbeitsgruppe beinhaltete u.a. die Formulierung „Alle Menschen sind gleich“. Außerdem wurden Unsicherheiten bezüglich des konkreten Designs deutlich, als die TN ihre Idee in der kollegialen Beratung vorstellten. In dieser Beratung wurde der angedachte Slogan als zu allgemein und bereits bekannt verworfen und zugunsten der Aufforderung „Spot the difference“ ersetzt. Bei der konkreten Umsetzung von Design und Inhalt des Stickers wurden die TN im Anschluss an die kollegiale Beratung durch den zu diesem Seminartag hinzugezogenen Grafikdesigner unterstützt. Dialogisch und in gemeinsamer Arbeit per Stift und Papier sowie per Grafikprogramm auf dem IPad entstand der endgültige Entwurf bis ca. 15:30 Uhr. Die TN ließen nun 250 Sticker in dem zwischenzeitlich von ihnen angefragten Copy Shop anfertigen, schnitten sie vor Ort zu und verteilten sie anschließend. Um mehr Aufmerksamkeit für ihr Projekt zu erreichen, fotografierten sich die TN gegenseitig beim Anbringen der Sticker und luden diese Fotografien mit dem Hashtag #gegenantiziganismus auf ihre Profile bei verschiedenen sozialen Netzwerken.
Projektidee:
Eine 5 TN umfassende Projektgruppe schloss sich mit dem Ziel zusammen, einen Song zu komponieren plus einen passenden Text zu verfassen. Thema sollte nach eigenen Angaben „die diskriminierenden Erfahrungen einer Romni sein“. Ziel dieser Aktion: „Menschen sollen den Inhalt wahrnehmen und dadurch zum Fühlen und Nachdenken gebracht werden“.
Umsetzung:
In der kollegialen Beratung wurde die Idee eines Song Projektes sehr begrüßt, auch weil deutlich wurde, dass sich die TN mit ihren individuellen Interessen und Kenntnissen (z.B. Singen und Gitarre spielen) einbrachten. Um sich durch das Verfassen einer fiktiven Erfahrung nicht unnötigerweise an der Reproduktion von Stereotypen zu beteiligen, wurde den TN in der Beratung empfohlen auf bestehende Quellen, wie die Erinnerungen Otto Rosenbergs oder die Gedichte von Ceija Stojkas zurückzugreifen. Außerdem wurde angedacht, ob diese Arbeitsgruppe nicht eine breitere Öffentlichkeit mit ihrer Mini Aktion erreichen könnte, wenn sie die erste Projektgruppe zum Alexanderplatz begleiten würde.
Die Anfangseuphorie der TN ließ beim Formulieren eines konkreten Textes und dem Komponieren einer Melodie etwas nach und die Aufgabe des für diesen Projekttag hinzugezogenen Grafikdesigners und Musikproduzentens Jaime Pazos bestand zuerst darin, die Gruppe zu motivieren und aus ihrem „kreativen Loch“ zu holen. So wurden Entspannungs- und Teambildungsübungen ebenso eingesetzt wie musikalische Einführungsübungen. Nach dieser Phase begann die Gruppe zuerst mit der Melodie und fand am späteren Nachmittag auch eine veränderte Message ihres Song Projektes. Nun sollte es um Selbstbewusstsein gehen, passend hierzu wählte die Gruppe eine Blues-Melodie. Das bis in die späten Abendstunden reichende Engagement dieser TN war sehr beeindruckend. Am nächsten Morgen performten sie ihren Song gleich zweimal im Plenum und beantworteten Fragen zu dem von ihnen gewählten Text.
Projektidee:
Drei TN wollten sich das aktuelle Lied von Sido „Geuner“ genauer ansehen. Mit ihrer Aktion wollten sie eine „Diskussion starten und Aufmerksamkeit auf Musik“ lenken.
Umsetzung:
Bezüglich der konkreten Umsetzung ihrer Projektidee waren diese TN bei der Vorstellung im Rahmen der kollegialen Beratung vergleichsweise unsicher. Bei der Beratung wurde angeregt, dass sie einen kurzen Beitrag als „Musikkritik“ verfassen und auf einem geeigneten antirassistischen Web-Blog zur Publikation einreichen.
Die Analyse und Interpretation hat relativ viel Zeit eingenommen, sodass im Verlauf des Nachmittags das Verfassen des Textes als nicht mehr realisierbar eingeschätzt wurde. Stattdessen überlegten sich die TN ein Poster zu gestalten, das im Plenum zur Präsentation ihrer Ergebnisse genutzt werden und anschließend in der Jugendbildungsstätte aufgehängt werden sollte.
Kommentar:
Die Beschäftigung mit diesem aktuellen Lied hat den Zusammenhang von Musik und Antiziganismus für die Projetteilnehmenden aber auch alle anderen bei der Präsentation Anwesenden verdeutlicht und konkretisiert. Die Projektteilnehmenden selbst haben ein - für die nur zwei vorherig stattgefundenen Seminartage - hohes Maß an Sensibilisierung für das Thema gezeigt und ihre Ergebnisse für die Präsentation anschaulich und nachvollziehbar aufbereitet. Die Anregung das „Z“ von der in Großbuchstaben auf dem Poster festgehaltenen diffamierenden Fremdbezeichnung abzudecken, wurde nachgekommen.